Aus unserer Reihe: Beratung

Nestmann, Frank & Frank Engel (Hrsg.)

Die Zukunft der Beratung

2002 , 340 Seiten

24.80 Euro

ISBN 3-87159-704-X

In einem rasanten Prozess der eigenständigen Profilierung und Professionalisierung von Beratung klären verschiedenste Disziplinen ihr Beratungsverständnis. Berufsgruppen und Verbände organisieren und formieren sich auf öffentlichen Märkten der Berater-Aus- und Weiterbildung und der Beratungsangebote. Mit neuen Aufgaben, Anforderungen und Klientelen verändern und entwickeln sich auch Beratungstheorien und -modelle, Beratungsbeziehungen und -methoden, Beratungssettings und -kontexte. Renommierte BeratungsforscherInnen und erfahrene BeratungspraktikerInnen präsentieren ihre Zukunftsentwürfe auf dem Hintergrund von Geschichte und Gegenwart. Sie suchen und diskutieren Maximen, Handlungsorientierungen, Spannungsfelder und interdisziplinäre Anschlussstellen einer neuen psychosozialen Beratung.

Inhalt:

Vorwort

Die Zukunft der Beratung
Frank Nestmann & Frank Engel
Konzepte und Visionen

Beratung – Markierungspunkte für eine Weiterentwicklung
Frank Nestmann & Frank Engel

Identitätsarbeit als Lebenskunst – Eine Perspektive für die psychosoziale Beratung
Heiner Keupp

Zwischen Vision(en) und Pragmatismus – Beratung und ihre neue Qualität
Wolfgang Schrödter

Bausteine einer zeitgemäßen Konzeption von Beratung
Dietmar Chur

Beratung im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit
Frank Engel

Beratung, von unten gesehen – Einige Fragen und Mutmaßungen
Hans Thiersch

Macht und Beratung – Fragen an eine Empowermentorientierung
Frank Nestmann & Ursel Sickendiek
Gestaltung von Beratungsräumen als professionelle Kompetenz
Ruth Großmaß

Von der Vision zum Konzept – Die Schlüsselstellung der Konzeptbildung in der Beratung
Ewald Johannes Brunner

Subjektive Theorien, Metaphern und Geschichten

„Da bin ich nicht mehr hingegangen“ — Warum Beratungen auf Grund diskrepanter subjektiver Theorien von Hilfesuchenden und Professionellen scheitern
Susanne Heynen

„Ein guter Tropfen maßvoll genossen und andere Glücksgefühle“ – Zur Metaphorik des alltäglichen Alkoholgebrauchs
Rudolf Schmitt

Die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit — Suche nach psychologischen Spuren der Nazizeit als Erinnerungsarbeit bei heutigen Deutschen
Wolfgang Neumann

Beratung an der Hochschule – ein Beratungsfeld im Wandel

Entwicklungslinien der Studierendenberatung: Von der traditionellen Studienberatung zum Competence-Center für (Aus-)Bildungsqualität
Dietmar Chur

Ressourcenförderung in der Studien- und Studentenberatung – Das Dresdner Netzwerk Studienbegleitender Hilfen
Frank Nestmann

Migration als Stressfaktor im Studium — Überlegungen zur interkulturellen Offenheit von Beratung
Ruth Großmaß

Frankfurter Erklärung zur Beratung
Forum Beratung in der DGVT
Die Autorinnen und Autoren

Leseprobe:

Vorwort
Die Zukunft der Beratung
Den Autoren und Autorinnen dieses Buches liegt eine Zukunft der Beratung am Herzen, die sich weder in Wiederholungen von schon oft Gesagtem und Geschriebenem erschöpft, noch ständig wechselnden Modernismen aufsitzt, die unsere Welt und damit auch Beratung flächendeckend durchziehen. So werden zwar klient- oder personenzentrierte Grundhaltungen oder sozialpädagogische Lebensweltmaximen auch Beratungstheorie und Beratungspraxis der Zukunft mitbestimmen und so mögen auch aktuell schier unausweichliche Konzepte wie ‚Coaching‘, ‚Mediation‘ oder ‚Narrationen‘ einmal Spuren hinterlassen. Eines haben wir aber gelernt: Keine dieser Modellvorstellungen und Handlungsentwürfe wird und kann Beratung in Gänze repräsentieren oder für sich universelle Geltung in der Beratung beanspruchen.
Viele Zeitgeistströmungen hat die Beratungsdiskussion und die Beratungslandschaft über sich ergehen lassen, viele Modewellen mitgemacht - und das wird sich nicht ändern. Lediglich die Zuversicht ist geschwunden, dass diese Effekte überdauern. Lediglich die Sicherheit ist gewachsen, dass diese Bedeutungen auch wieder abnehmen oder verschwinden. Beratung verändert sich in einer sich verändernden Welt (hoffentlich!) theoretisch, praktisch, in Bezug auf die Aufgaben, Konstellationen, Settings, Medien und Methoden, Ziele und Zielgruppen und damit auch in ihrem Selbstverständnis, mögen auch diese und jene Interessenten (Disziplinen, Berufsgruppen, Verbände etc.) gerne ihre eigene Vorstellung von Beratung als die Vorstellung von Beratung auf Dauer festschreiben.
Die hier beteiligten Autorinnen und Autoren suchen seit mehreren Jahren gemeinsam in offener solidarischer und auch kontroverser Diskussion zeitangemessene und zukunftsträchtige Beratungsprofile zu entwickeln, Schnittflächen und Kompatibilitäten ebenso wie Reibungsflächen und Diskrepanzen ihrer unterschiedlichen Konzepte und Entwürfe auszumachen. Sie rekonstruieren Beratungsgeschichte, analysieren Beratungsgegenwart und fragen sich nach der Zukunft und nach Visionen von Beratung - so auch in diesem Band.

Wenden wir uns im ersten Teil der ‚Zukunft der Beratung‘ allgemeinen Gegenwartsanalysen und Zukunftsentwürfen zu. Die Herausgeber beschreiben zunächst absehbare und bereits ablaufende Entwicklungsprozesse der Beratungslandschaft.
Wohin geht die Entwicklung der Institutionalisierung und Professionalisierung von Beratung? Welchen Themen und Zielgruppen werden sich Berater und Beraterinnen zuwenden? Wie werden sich unsere Theorievorstellungen von Beratung entwickeln? Der Beitrag zeigt, dass das Wissenschafts- und Praxisfeld Beratung allerorten und auf allen Ebenen in Bewegung geraten ist und dass diese Entwicklungen die höchste Aufmerksamkeit und die höchste Bereitschaft zu offensiver Mitgestaltung durch die direkten Beteiligten - und das sind und bleiben in erster Linie Beraterlnnen und Klientlnnen - erfordern. Frank Nestmann und Frank Engel formulieren Markierungspunkte, die der Weiterentwicklung von Beratung in ihren theoretischen, praktischen und professionellen Bezügen neue Impulse verleihen sollen. Sie greifen dabei auf aktuelle Trends der Counselling-Debatten zurück und ergänzen diese um Perspektiven einer zukünftigen Weiterentwicklung von Beratungstheorie und Beratungspraxis.

Heiner Keupp entwirft hierzu in ‚Identitätsarbeit als Lebenskunst‘ eine aufschlussreiche (Sozial-)Psychologie des Menschen in einer anforderungsreichen postmodernen Welt. Er schafft damit die notwendige Grundlage für Entwürfe einer zeitgemäßen und zukunftsweisenden Beratung. Beratung muss s. E. helfen, Chancen für eine innere Lebenskohärenz zu schaffen, die heute als das zentrale Kriterium gelingender Lebensbewältigung identifiziert wird. Von den Menschen ist gefordert, Fähigkeiten zu Selbstorganisation, Selbsttätigkeit und Selbsteinbettung zu entwickeln, um ein ‚ inneres‘ Ziel ‚Authentizität‘ und ein ‚äußeres‘ Ziel ‚Anerkennung‘ zu erreichen. Beratung kann über die Ermöglichung von Identitätsnarrationen und Identitätsarbeit, über psychologische, soziale und materielle Ressourcenförderung sowie über die Aktivierung und Sicherung von Partizipations- und Gestaltungsoptionen und -fähigkeiten, aber auch über die Vermittlung von ‚positiver Nicht-Sicherheit‘ zur Entwicklung von ‚Möglichkeitssinn‘ und ‚Selbstsorge‘ ihrer Adressaten beitragen.

• Wolfgang Schrödter geht davon aus, dass auf Grund der zunehmenden Bedeutung von interinstitutionellen Austausch-, Aushandlungs- und Kooperationsprozessen, die über die reine Klienteninteraktion (im Mikrosystem Beratung) hinausgehen, heute und zukünftig ein Kerninhalt beraterischer Professionalität sozialpolitisches Engagement sein wird. Über eine spannende Rekonstruktion jüngerer Beratungsgeschichte aus der Innenperspektive, in der die unvermittelte Verbindung mit den jeweils ‚ zeitgeistigen‘ Topoi und Maximen deutlich wird, gelingt ihm der Aufweis zentraler aktueller Entwicklungsschübe einer durchaus in sich vielförmigen und widersprüchlichen Professionalisierung, Institutionalisierung, Angebotsdiversifikation und Verrechtlichung. Schrödter beschreibt sie als quasi selbstorganisierte Prozesse, die dem Interessengemenge vieler gesellschaftlicher Gruppen und Instanzen entspricht. Er identifiziert und belegt den paradoxen Effekt eines tendenziellen Verschwindens des eigentlich hilfreichen Handlungsauftrags und der beteiligten Helfer und Hilfesucher hinter Rationalitäten und Zielen von Markt, Macht und Kontrolle in einer zu größerer ‚Reife‘ entwickelten professionellen und institutionellen Beratungslandschaft.

• Dietmar Chur will in seiner umfassenden Zusammenstellung von Bausteinen einer zeitgemäßen Beratung einen allgemein orientierenden Rahmen von Beratungshandeln entwerfen, der jenseits spezifisch disziplinärer Konzepte und jenseits spezifischer Beratungsfelder die Funktion einer wie er es nennt ‚allgemeinen Grammatik‘ von Beratung übernehmen könnte. Er untersucht Beratung - im Schnittpunkt der Disziplinen, Anwendungsbereiche, Methoden und Settings; - als Förderung von Schlüsselkompetenzen (hier stellt er direkte Bezüge zu seinem 2. Beitrag zur Studierendenberatung in diesem Band her); - als kontextbezogenes und systemisches methodisches Handeln - welches ein reflektiertes Auftragsmanagement voraussetzt. Seine Wahl fällt so auf vier Bausteine, mit denen er sich seit Jahren theoretisch und praktisch befasst und die hier erstmals in dieser ausführlichen Form integriert werden. In einer bis zu den Ursprungskonzepten zurückführenden theoretischen Herleitung (z. B. von Modernisierungsprozessen, Kompetenzmodellen, Systemik etc.) und einem Zusammenspielen verschiedener teils scheinbar inkompatibler Modellvorstellungcn (z. B. Systemik und Ressourcenökologie etc.) gelingen hier neue Perspektiven auf Beratung, die zudem nicht im Abstrakten belassen, sondern in aufschlussreichen Fallfassetten exemplifiziert werden.

Frank Engel thematisiert die durch Neue Medien hervorgerufenen Herausforderungen an die Zukunft von Beratung. Mit einleitendem Blick auf Walter Benjamins Essay über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit formuliert er die These, dass auch Beratung einer zunehmend technischen Reproduzierbarkeit unterliegt. In seiner Analyse medialer Rahmenbedingungen wird deutlich, dass ein „Weiter so“ der Beratungsangebote und Beratungsformen eine Sackgasse darstellt und Beratung sich diesen Anforderungen gegenüber gestaltend öffnen und neu positionieren muss. So unterliegt auch Beratung den Bedingungen medialer Aufmerksamkeits- und Präsenzökonomie, ihre Anbieter müssen verstärkt Aktives Vertrauen sicherstellen und Ratsucher werden in Zeiten, da sie zwischen realen und virtuellen Beratungswelten pendeln können, andere Erwartungen an Beratung stellen, auf die zu reagieren ist. Derartige Veränderungen werden aber - so sein Resümee - Beratung nicht grundlegend verändern, sondern eher beweglicher und fassettenreicher machen. Wir freuen uns sehr, dass Hans Thiersch uns einen neuen Text für den Band zur Verfügung stellt, den er in einer einmaligen für ihn so typischen Art an seine für die Beratungsdiskussion und -entwicklung in Deutschland grundlegenden Arbeiten zu einer lebenswelt- und alltagsorientierten (Sozialpädagogik und) Beratung anknüpft und deren Maxime er kritisch auf die heutige Situation bezieht. In einer sensiblen Betrachtung des beratenden Mikroverhältnisses ‚von unten‘, eingebettet in den zeit geschichtlichen Kontext, reißt er bisher ungestellte, weil ‚unmoderne‘ Fragen auf, die unseres Erachtens doch weiterführen als ein häufig sich wiederholendes ‚Beratungsreden‘, dem viele (wir wollen uns da nicht ausnehmen) immer mal wieder anheim fallen. Zeit und Ruhe, Unterprivilegierung und Armut und damit (auch noch 2002) einhergehende Deutungs- und Sprachformen der Lebensbewältigung (in einer Gesellschaft, die sich als ‚Kommunikations-‘ Gesellschaft bezeichnet), die subjektive und widersprüchliche Wahrnehmung des Beratungsbedarfs und der Beratungskonstellationen durch diejenigen, die Beratung brauchen und nötig haben, oder die mutige Frage nach negativen Folgen von Aufklärung und der Bedeutung ‚schützen der Lebenslügen‘ stoßen uns auf ungeklärte und unbeforschte Gebiete der Beratung, die zukünftig zweifellos mehr theoretische und empirische Aufmerksamkeit verdienen.

• Auch Frank Nestmann und Ursel Sickendiek greifen eine alte Debatte um Beratung wieder auf - die Frage der Macht und Machtungleichheit in Beratungsbeziehungen. Eine Analyse unterschiedlicher Machtstrukturen und -dimensionen wird verbunden mit der Frage, ob und wie Beratung Prozesse persönlichen und sozialen Empowerments fördern kann.

• Ruth Großmaß, die Beratung als ‚eigenständigen kulturellen Raum‘ entdeckt, widmet sich dieser bisher weitgehend vernachlässigten und wie sie überzeugend nachweist doch so prägenden Raumdimension auf drei Ebenen. Sensibel analysiert sie zunächst das räumliche Beratungssetting und seine Implikationen für Klientele wie BeraterInnen; erhellender noch ihre ganz neuen Perspektiven auf Beratung als Ort im soziokulturellen Raum im Rückgriff auf Bourdieu und auf den Umgang mit dem öffentlichen Raum. Die gelungene Verknüpfung theoretischer Zugänge und praktischer Beispiele fundiert die von Ruth Großmaß gezogenen Konsequenzen für ein neues Verständnis professioneller Beratungskompetenz heute und in Zukunft.

• Ewald Johannes Brunner fordert zu Recht Vorsicht und einen reflexiven Umgang mit dem auffällig populären Begriff ‚Vision‘ ein. Im Spannungsfeld zu ‚Konzept‘ diskutiert er die Rolle von Beratungszielen für Beratungsqualität und Beratungserfolg - sei es in personenbezogenen oder organisationsbezogenen Beratungskonstellationen und -prozessen. Lassen wir an dieser und jener Stelle Raum für Visionen der beteiligten Autoren und Autorinnen, bevor in Teil 2 des Bandes sich drei Texte mit der Mikrostruktur von Beratungsprozessen befassen. Gelingen uns neuere Blicke auf und Einblicke in die Beratungsinteraktionen und Beratungskonstellationen, wenn wir die subjektiven Theorien, die Metaphern und die Geschichten der Beteiligten zum Thema machen?

• Susanne Heynen widmet sich in diesem Zusammenhang (basierend auf einer umfassenden eigenen Studie) den subjektiven Theorien von Vergewaltigungsopfern in der Beratung. An vielen einzelnen Dimensionen des Beratungsprozesses - von der Ausgangssituation der Klientinnen über die Inanspruchnahme professioneller Beratung, die Beratereinstellungen, Verhaltens- und ‚Fehlverhaltens-‘ weisen der Berater bis hin zur Reaktionen der Hilfesuchenden - arbeitet sie die (insbesondere für die Hilfe suchenden Frauen) fatalen Folgen diskrepanter subjektiver Theorien von Ratsuchenden und Beraterlnnen heraus. Heynens Analyse entdeckt in diesem Zusammenhang eine Vielzahl öffentlicher und professioneller Mythen, Haltungen und Handlungen, die nicht helfen, auch wenn sie dies vorgeben; die zusätzlich belasten oder gar nochmals und sekundär schädigen. Es wird deutlich, dass eine zukünftige Beratungsforschung subjektiven Theorien der Beteiligten und ihren Wirkungen, Kompatibilitäten und Diskrepanzen weit mehr Aufmerksamkeit widmen muss als dies in der Vergangenheit geschehen ist.

• Rudolf Schmitt wirft hingegen einen genaueren Blick auf die Sprache - zentrale Kommunikationsform in Beratungsprozessen - und sprachliche Bilder. Ihn interessieren die Bedeutungen von Metaphern und am Beispiel einer Studie zur Metaphorik des alltäglichen Alkoholgebrauchs verdeutlicht er, wie fatal eine Vernachlässigung metaphernanalytischer Betrachtungen ist - insbesondere dort, wo die Metaphorik von Helfern und Hilfesuchenden nicht zueinander passen. Direkte Konsequenzen für die Beratung ergeben sich u. a. dort, wo ein für gelingende Beratung grundlegendes gegenseitiges Verständnis, wo eine emotionale Vertiefung von Erfahrungen und auch dort, wo die Integration der Leib- und Körperdimension Ziel beraterischen Handelns sind. Metaphernsensibilität in der Beratung ist gefordert. Wie die subjektiven Theorien verlangen auch die metaphorischen Formen und Gehalte professioneller Beratung mehr an theoretischer, empirischer wie auch praktisch professioneller Aufmerksamkeit.

Wolfgang Neumann macht uns in seinem Beitrag zur ‚ Gegenwärtigkeit der Vergangenheit‘ klar, dass auch eine gelingendere Zukunft von Beratung nicht ohne eine Reflexion des ‚Gewordenseins‘ der Beteiligten möglich wird. Er sucht nach den psychologischen Spuren des finstersten Kapitels deutscher Vergangenheit in Beratungsgesprächen mit KlientInnen, die die Nazizeit und den Holocaust (nur) in den erzählten wie den verschwiegenen Geschichten ihrer Eltern und Großeltern aufgenommen haben. Dabei zeigt er in Fallbeispielen die psychosoziale Produktivität einer ethnomethodologischen Strategie der Inszenierung von Interaktionskrisen in biografisch sensiblen Beratungsprozessen. Schließlich widmen wir uns einem ebenso wichtigen wie in Deutschland unterschätzten Entwicklungsfeld von Beratung - der höheren Bildung und der Hochschule -. Hier wo Beratung (auch) ihre Anfänge nahm, ihre eigenständigste Identität entwickelte, gilt es neue Perspektiven zu entwerfen und neue Strategien zu erproben.

In seinem zweiten Beitrag zu diesem Band rekonstruiert Dietmar Chur zunächst die Geschichte und den Werdegang der deutschen Studierendenberatung von den 60er Jahren bis heute. Der Wandel der gesellschaftlichen und universitären Anforderungs-, Aufgaben- und Funktionskontexte wie interne Entwicklungsdynamiken machen die aufgewiesenen formalen wie inhaltlichen Veränderungen der Beratung an der Hochschule verständlich und nachvollziehbar. Dietmar Chur, langjähriger Mitgestalter und teilnehmender Beobachter dieser Prozesse an einem prominenten Zentrum dieser Entwicklungen (in Heidelberg), weist schlüssig die Verschiebung der jeweils herrschenden Beratungsaufgaben, Beratungskonzepte und Zielgruppen nach und lässt seine Rekonstruktion des Wegs von der traditionellen Studienberatung hin zu einem Kompetenzzentrum für (Aus-)Bildungsqualität in die Beschrei bung des ‚Heidelberger Modells‘ münden. In der zukunftsträchtigen Form eines Kompetenzzentrums werden Beratungsperspektiven auf allen Ebenen des Systems Universität zusammengeführt, die präventiv wie bewältigungsorientiert Schlüsselkompetenzen bei Lernenden und didaktische Kompetenzen bei Lehrenden ebenso in ein neues Beratungsverständnis integrieren wie Maßnahmen der Strukturentwicklung und der Qualitätssicherung sowie das Schnittstellenmanagement zu anderen Beratungs- und Hilfeeinrichtungen der Hochschule.

• Frank Nestmann berichtet über ein Projekt präventiver Studien- und Studentenberatung an der TU Dresden. Angelehnt an anglo-amerikanische Modelle der Netzwerk- und Selbsthilfeförderung an der Universität und bezogen auf neuere Entwicklungstendenzen der Studienberatung werden unterschiedliche Strategien ressourcenorientierter Beratung und Intervention konzipiert und an Beispielen konkretisiert.
Gerne haben wir den abschließenden Beitrag von Ruth Großmaß zur Beratung von Studierenden mit Migrationshintergrund aufgenommen, befasst er sich doch mit Problemen und Perspektiven einer Klientel- und Nutzergruppe, die für das Feld psychosozialer Beratung generell insbesondere aber im internationalen und inter kulturellen Setting Hochschule bedeutsamer wird. Die Autorin beschreibt aus ihrer praktischen Erfahrung als Studien- und Studentenberaterin die unterschiedlichen Gruppen ‚ausländischer‘ Studierender und ‚Bildungsinländer‘ mit ihren je spezifischen strukturellen wie persönlichen Zugängen und Zugangsbarrieren. Sie charakterisiert ihre Stellung im Land, an der Universität und auch in der Beratung als ‚Zwischenstatus‘. Wege zu einer größeren interkulturellen Öffnung von Beratungsangeboten, die individuelle wie für Migrationsgruppen spezifische Bedingungen und Orientierungen reflektieren, werden entworfen.
Bevor wir den Leser/die Leserin schließlich in die Zukunft oder besser in die Zukünfte von Beratung entlassen, wollen wir die Leser mit der ‚Frankfurter Erklärung‘ des Forums Beratung in der DGVT zu einem neuen Diskurs zur Beratung aufrufen. Diskutieren Sie mit uns, wie die ‚Zukunft der Beratung‘ aussehen wird - kann - soll oder muss.

Frank Nestmann, Frank Engel, Dresden, Bielefeld 2001 Frank Nestmann, Frank Engel Dresden, Bielefeld 2001 Frank Nestmann, Frank Engel Dresden, Bielefeld 2001

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